Sonder-Newsletter: Zum Erstarken des Rechtsextremismus in Deutschland und anderen Ländern

Die Demokratie, die seit den beiden Weltkriegen in der westlichen Welt als ideale Blaupause politischer Ordnung gilt, ist nicht nur in Deutschland zunehmend bedroht – genauso die durch sie repräsentierte Rechtsstaatlichkeit. In Zeiten, in denen die drohende Klimakatastrophe sowie katastrophale außenpolitische Ereignisse wie die Kriege in der Ukraine und in Israel unsere Gesellschaft herausfordern, ist der Rechtextremismus damit zu einem brennenden Zeitproblem (vgl. Parin, 1978) geworden, das unsere Gesellschaftsordnung von innen heraus angreift. So wurden Bürger:innen Deutschlands in den letzten Jahren Zeug:innen dafür, dass gefühlt überall auf der Welt der Ruf nach starken Führern vernehmbar wurde. Im Hinblick auf – in chronologischer Reihenfolge – die Europawahlen, die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und die Präsidentschaftswahl in den USA sieht es dieses Jahr so aus, als würden gerade die besonders extremen Kandidat:innen und Parteien – Trump und die AfD - auf erhebliche Zustimmung setzen können. Besonders schmerzlich – gerade vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - ist es, dass auch in Deutschland wieder ein Rechtsruck und damit eine Ausrichtung an rechten Ideologien feststellbar ist. Dies betrifft uns auch als Psychoanalytiker:innen und Psychotherapeut:innen.

Ideologien unterwandern das kritische Denken systematisch – und können so unter die sozialpsychologisch geprägten Begriffe der „sozialen Pathologien“ (Honneth) oder der „Krankheiten des Gedächtnisses“ (Ricoeur) gefasst werden, sofern sie die Breite der Gesellschaft erfasst und sich dort verfestigt haben. Das Charakteristikum rechter Ideologie ist die Entwertung von kultureller Differenz und das Schüren von Haß gegen bestimmte Gruppen (Eliten, Migranten, Liberale, Grüne, LBTQ+ etc.), wodurch letztlich soziale Ungleichheit und Ungleichwertigkeit zementiert und zur Norm erhoben werden. Eine solche Strategie hat maßgeblich zum Wahlsieg Donald Trumps im Jahr 2016 beigetragen. Durch Prozesse der Dethematisierung werden Macht- und Herrschaftsverhältnisse verschleiert, stehen dem gemeinschaftlichen Diskurs nicht mehr zur Verfügung.

Während vor zehn Jahren noch ein deutlicher Unterschied zwischen „Rechtsextremismus“ und „Rechtspopulismus“ zu verzeichnen war (vgl. Decker & Lewandowsky, 2009), kann diese Trennung heute so nicht mehr aufrechterhalten werden. Dies zeigen auch die Recherchen des Verfassungsschutzes. Erst kürzlich erregte das Treffen zwischen rechten Politikern und Neonazis in Potsdam, sowie die dort postulierte Umdeutung des Begriffs „Remigration“ – der mit Recht zum „Unwort“ des Jahres gewählt wurde, für Entsetzen in der breiten demokratischen Mitte. In der zunehmend offenen Annäherung zwischen Extremismus und Populismus erfährt die rechte Bewegung eine große Kraft, in der sich die Leugnung historischer und aktueller Verantwortung manifestiert. Von hier aus müssen wir weiterdenken zu der Gefahr, dass das Recht auf die unantastbare Würde des Menschen nur noch einer Subgruppe von Menschen zugesprochen wird.

„Rechtspopulismus“ und -extremismus entstehen nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund einer komplizierter gewordenen Welt, die stark regressive und vereinfachende Strömungen hervorgebracht hat. Komplizierter und damit überfordernder geworden ist die Welt durch Prozesse von Entgrenzung, um nur einige zu nennen: Zwang zum steten Wirtschafswachstum, Globalisierung, Digitalisierung, Beschleunigung, Ablösung der dualen Weltordnung des Westens vs. Ostblock, Infragestellung der Geschlechterdualität, Infragestellung von Institutionen aller Art. Die extremen populistischen Welterklärungen setzen auf Komplexreduktion durch vereinfachende Erklärungen i. S. von Schuldzuweisungen und Sündenbocksuche. Auf diese Weise gerät die Gesellschaft in die erregte Verfassung einer „Grundannahmengruppe“ (Bion), in der sich Subgruppen auf das Schwerste bekämpfen und in der eine Entfesselung des Irrationalen und Destruktiven zu verzeichnen ist. Politische Brandstifter machen sich dabei die Unzufriedenheit vieler Bürger zunutze, die durch Klimakrise, Migration, Kriege und nach der Pandemie ihren Lebensstandard in Frage gestellt sehen und den sozialen Abstieg fürchten oder ihn schon erlitten haben (vgl. Wirth, 2022). Diese Bürger fühlen sich nicht mehr in einer Kultur zuhause, die Individualismus, Exzeptionalismus und Autonomie überbetont.

Wenn das Denken, das versucht der Komplexität der heutigen Welt gerecht zu werden, „unter Feuer“ (Bion) geraten ist, locken „Rechtspopulismus“ und Hasspolitik mit einem regressiven Angebot, einem Appell an das Unbewusste, welcher ausschließlich die Affekte reizt und die Vernunft lähmt (Reemtsma, 2024, S. 69; vgl. Brockhaus, 2022). Die generalisierte Zuschreibung von Inkompetenz durch die AfD als vermeintliche Rechtfertigung für ihren Haß gegenüber den Regierungsparteien, erreicht all diejenigen, die von der Politik enttäuscht sind und nach einfachen Lösungen für aktuelle komplexe Problemstellungen verlangen. Besonders wirksam werden vermeintlich einfache „Lösungen“ durch Spaltungen erzeugt, denn so lässt sich die Welt scheinbar in handhabbare Dichotomien fassen. Der besondere Effekt kann dann erzielt werden, wenn sich viele Individuen von gleichgerichteten feindseligen Emotionen, wie Hass oder Ressentiments, anstecken lassen. Die so erzeugte Resonanz in der Gruppe kann sich leidenschaftlich entwickeln, das Gruppengefühl stärken und zu gemeinschaftlich getragener Handlung gegen Außenstehende motivieren. Extremer Populismus wehrt jegliche Gefühlsbindung mit den als anders erlebten Menschen ab. Die negativen Gefühle richten sich auf die als fremd und nicht-identitär erlebten Anderen und entwerten diese bis hin zur Entmenschlichung. Ressentiments wirken wie Planken einer Plattform, d.h. wenn Hass und Abwertung am Platz sind, dann richten sie sich nicht nur auf eine, sondern gleich auf verschiedene Gruppierungen. (vgl. Adorno, 1962/2024, S. 12) Zielgruppen sind diejenigen, die sich als Feindbilder eignen, das kann die Gruppe der Migrant:innen sein, aber auch die Eliten. Neben der Stärkung des erlebten Werts der eigenen Zugehörigkeitsgruppe und des Selbst, werden durch einfach-gehaltene Feindbilder und ideologisch untermauerte Manipulationen eine Orientierung vermittelt. Und endlich kann Ordnung halluziniert werden. Zwar bleiben die Ereignisse im Außen ungewiss und chaotisch, doch die Individuen der durch Hass und Entwertung zusammengeschweißten Gemeinschaft können eine Regulation von Angst und Unsicherheit erleben, wenn auch auf niedrigem psychischen Funktionsniveau.

Wie sehr die liberale Mitte die eigenen Werte und die Demokratie durch den Rechtsruck bedroht sieht, zeigen die zahlreichen Demonstrationen „gegen rechts“, die seit Januar in vielen deutschen Städten stattfinden, nicht nur in Großstädten und nicht nur in den alten Bundesländern. Wie viele Menschen ein Bekenntnis zur Demokratie, aber auch ein Eingeständnis für deren Verletzbarkeit leisten wollen, zeigen abends die Nachrichten, wenn beispielsweise bekannt wird, dass Demonstrationen wegen Überfüllung geschlossen werden mussten. Die Herausforderung für Menschen, die gegen den „Rechtspopulismus“ auf die Straße gehen, besteht darin, dass ja auch sie unzufrieden, angstvoll sind und nicht wissen können, ob sie mutig und hoffnungsvoll in Zukunft schauen können. Auch sie können der massenpsychologischen Regressionsverführung erliegen – beispielsweise dann, wenn Parolen skandiert werden wie „Wir hassen die AfD“. Diese mimetische Reaktion auf rechtsextreme Botschaften ist nur dazu geeignet, Radikalität und Spaltung in der Gesellschaft voranzutreiben, nicht aber das kritische Denken zu vertreten und einzufordern. Kritisches Denken wird überhaupt erst von einer Position aus möglich, wenn das Subjekt den Verlust der Gefühlsbindungen zum Anderen als schmerzvoll und als Limitierung antizipieren kann.

Rechtsextremismus, -autoritarismus, -populismus sind keine Themen, die nur außerhalb des Therapieraums existieren. Denn der Rahmen, der unser psychotherapeutisches Handeln möglich macht, ist untrennbar verknüpft mit unserem demokratischen Rechtsstaat, sowie unserem Sozialstaat, in dem alle Menschen einen Anspruch auf Krankenversorgung haben. Natürlich können durch Hasspolitik erzeugte Gefühle auch in den Therapieraum hineindringen, z. B. als Folge des Konsums von AfD-Werbevideos, als Angst und Verfolgungsgefühl einer Migrantin oder als Ventil für die schier unaushaltbare Wut eines Patienten. Psychotherapeut:innen können unter Umständen durch einen unauflösbaren Gefühlsknoten irritiert sein, der angesichts der:des politisch Andersdenkenden im Praxisraum auftritt. Obwohl das Politische im Therapieraum mit vielfältigen negativen Gefühlen verbunden sein kann,  die Forderung nach „absichtsloser“, neutraler Haltung bleibt. Da, wo der (Rechts-)Exremismus beginnt, ist allerdings keine Neutralität mehr nötig und sinnvoll, denn als Psychotherapeut:innen und Psychoanalytiker:innen sind wir der Menschenwürde, den demokratischen Grundwerten unserer Gesellschaft, die mit zum Rahmen unserer Arbeit gehören, verpflichtet. Dabei müssen wir uns natürlich nach wie vor auf unsere Fähigkeit zur freischwebenden Aufmerksamkeit und Triangulierung verlassen können.

Vor diesem Hintergrund hat sich die Psychoanalyse schon immer, und bezugnehmend auf Freuds kulturtheoretisches Fundament, kritisch zu gesellschaftlichen Fragestellungen geäußert. Die politische Psychoanalyse fordert Verantwortungsübernahme jenseits der Couch. Beispielsweise, wenn Horst Eberhard Richter (1984) zum Erlernen eines Verantwortungsbegriffs ermutigt, „der eine Brücke schlägt zwischen der inneren Veränderung des einzelnen und seiner praktischen Verantwortung für das Ganze.“ (S. 1122) Als zeitgenössische Entwürfe psychoanalytisch geprägter gesellschaftlicher Verantwortungsübernahme lassen sich die Begriffe des „Hüters des Anderen“ und des radikalen „Hören“ (Orange, 2019) sowie der „Kultur der Fürsorge“ (Weintrobe, z.B. 2022) nennen. Beiden Autorinnen gilt die unantastbare ambivalent geprägte Bindung zum jeweils Anderen – die Solidarität – als Ausgangspunkt für die Forderung nach Begrenzung von destruktiver Allmacht, Schutz von menschlichem Leben und Stärkung von Heteronomie und kooperativer Freiheit. Dieser Forderung schließt sich die DGPT an – deshalb sind alle Psychotherapeut:innen, alle Psychoanalytiker:innen und letztlich alle Bürger:innen aufgefordert, die Menschenwürde und die demokratische Gesellschaft zu verteidigen, um der „leisen Stimme der Vernunft“ gegenüber allen populistischen, irrationalen und destruktiven Versuchungen wieder mehr Geltung zu verschaffen.

Bion, W. R (1991): Erfahrungen in Gruppen und andere Schriften. Frankfurt: Fischer-Taschenbuch
Brockhaus, G. (2022). Hasspolitik – Ansteckungsangst und Abwehr. Psyche – Z Psychoanaly 76(7), 599-631.
Decker, F. & Lewandowsky, M. (2009). Rechtspopulismus als (neue) Strategie der politischen Rechten. Online Akademie der Friedrich-Ebert-Stiftung (https://library.fes.de/pdf-files/akademie/online/08320.pdf, aufgerufen im Februar 2024)
Orange, D. (2019). Psychoanalysis, History, and Radical Ethics: Learning to Hear. Routledge.
Parin, P. (1978). Warum die Psychoanalytiker so ungern zu brennenden Zeitproblemen Stellung nehmen. Eine ethnologische Betrachtung. Psyche – Z Psychoanal 32(5/6), 385-399.
Reemtsma, J. P. (2024). Nachwort (50-86). In: Adorno, T. W.: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute. Berlin: Suhrkamp.
Weintrobe , S. (2022): Liebe und ihr Überleben in unerträglichen Zeiten. Psyche – Z Psychoanal 76 (12), 1108–1130.

Wirth, H.-J. (2022). Gefühle machen Politik – Populismus, Ressentiments und die Chancen der Verletzlichkeit. Gießen: Psychosozialverlag.

Die DGPT hat an einer Pressemitteilung des Zusammenschlusses der Psychotherapieverbände (GK II) mitgewirkt und schließt sich dieser an:

Psychotherapeut*innen mahnen zu Toleranz und Wahrung der Grundrechte

"Psychotherapeut*innen haben die Würde ihrer Patient*innen zu achten, unabhängig insbesondere von Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung, sozialer Stellung, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder politischer Überzeugung.“ betont der Zusammenschluss der Psychotherapieverbände (GKII). Dies ist in unserer Berufsordnung explizit festgeschrieben.

Die Psychotherapieverbände sehen in Demokratie und Rechtsstaat die besten Garanten für gesellschaftlichen Zusammenhalt, respektvollen Umgang miteinander und Wahrung der sozialen Errungenschaften.

Psychische Gesundheit kann nur in einem Klima ohne Angst und Intoleranz bestehen.

Alle Psychotherapeut*innen sind aufgefordert, dieses Wertesystem zu respektieren und damit die Grundlagen eines Zusammenlebens in gegenseitiger Toleranz und gegenseitigem Respekt zu fördern.

 

Mit freundlichen Grüßen

Birgit Jänchen-van der Hoofd
Vorsitzende

 

DGPT e.V.

Deutsche Gesellschaft für

Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie

 

Kurfürstendamm 54/55

10707 Berlin

www.dgpt.de

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